Die Chroniken von Azuhr. Die Weiße Königin by Bernhard Hennen

Die Chroniken von Azuhr. Die Weiße Königin by Bernhard Hennen

Autor:Bernhard Hennen [Hennen, Bernhard]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104905570
Herausgeber: FISCHER E-Books


Auf der Sternenbrücke am Westufer des Timeso, später Morgen, 17. Tag des Weinmondes im Jahr von Sasmiras zweiter Thronerhebung

Rodrigo stieg über die Toten hinweg und vermied es, in die Gesichter der Männer zu blicken. So viele waren auf der Brücke gefallen. Und es gab Dutzende von Verwundeten. Männer, die sich in Schmerzen wanden, ihn um Hilfe anflehten. Männer mit aschfahlen Gesichtern, zu denen der Tod erst in einigen Tagen kommen würde. Rodrigo sah einen Waffenknecht mit dem weißen Turm Dahlias auf der Brust. Einen Mann mit breitem, einfältigem Gesicht. Er erinnerte sich, wie er einmal miterlebt hatte, wie der Mann einen betrügerischen Zuckerbäcker bestraft hatte, indem er befahl, dass seine sämtlichen Honigkuchen an die Kinder auf dem Markt zu verschenken seien. Einen Tag lang war dieser Mann mit dem einfältigen Gesicht der Held Dahlias gewesen. Zumindest unter Dahlias Kindern. Jetzt fiel ihm sein Name auch wieder ein. Vasco.

Rodrigo kniete sich neben den Verwundeten. Vascos Waffenrock war blutgetränkt. Er presste sich beide Hände auf den Bauch. Dicht unter dem Rippenbogen hatte ihn ein Pfeil getroffen und war ihm tief in den Leib gedrungen.

»Ich werde dir einen Feldscher schicken lassen«, murmelte Rodrigo. Er wusste nicht viel über das Geschäft der Wundärzte, aber selbst ihm war bekannt, dass Männer, deren Gedärme durchbohrt waren, nur sehr selten überlebten. Ihre Wunden begannen zu schwären und zu stinken, bis sie schließlich vom Fieber oder von den Schmerzen dahingerafft wurden. »Du schaffst das, Vasco. Dahlia braucht dich noch. Auch wenn dich die Zuckerbäcker fürchten.«

»Ihr kennt mich, Herr?« Die Augen des Waffenknechts wurden weit.

»Du bist eine Legende, Vasco. Und ich hatte die Ehre, von Ferne zu sehen, was du getan hast.«

Ein Zittern lief durch den Körper des Mannes, aber er lächelte. »War mein bester Tag …«

Rodrigo nickte. »Manche haben nie einen solchen Tag.«

»Was machst du da?«, fragte Nicolo scharf. »Wir haben es eilig!«

Rodrigo erhob sich und unterdrückte einen unwilligen Seufzer. Er winkte einem Waffenknecht in seinem Gefolge. »Schaff den erstbesten Feldscher, den du findest, hierher. Sofort.«

»Ja, Herr.« Der Mann, ein schlanker Kerl, ein wenig größer als er selbst, nickte und machte sich eilends davon. Ihn hatte Rodrigo mit Bedacht in jene kleine privilegierte Gruppe gewählt, die sich bei Tag und Nacht zu seiner Verfügung hielt. Tazio hieß er. Ein lausiger Armbrustschütze und Schwertkämpfer. Kein Mann, der nützlich wäre, wenn es darum ginge, sein Leben zu verteidigen. Doch Tazio war Barbier und Zahnausreißer in Dahlia. In beidem war er ziemlich gut. Und so, wie der Feldzug bisher verlief, brauchte Rodrigo wesentlich dringender eine tägliche Rasur, die mit Sorgfalt ausgeführt wurde, als einen bewaffneten Leibwächter.

»Du bist zu nett zu diesen Kerlen«, sagte Nicolo leise, als sie weitergingen. »Es steht einem Patrizier und reichen Kaufmann nicht gut zu Gesicht, sich mit dem einfachen Volk gemeinzumachen.«

»Ich werde das in Zukunft bedenken«, entgegnete Rodrigo höflich und dachte doch in Wahrheit: Leck mich, wo nie die Sonne scheint!

Allerdings zwang Rodrigo sich nun, wirklich niemandem mehr ins Gesicht zu blicken. Dabei lagen noch etliche Männer im blauweißen Waffenrock Dahlias auf dem Weg.

Am Ende der Brücke erwartete sie Olmo.



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